Interview geführt mit Julia Ware, Ernährungscoach und Psychotherapeut*in (HPG). Frau Ware hilft Ihren Klient*innen, sich wieder ein gesundes Essverhalten anzueignen. Sie verrät uns ihre Vision von Ernährungstherapie sowie einige kleine Geheimnisse, um mit dem Thema Ernährung in Einklang zu kommen.
Guten Tag Frau Ware! Können Sie uns vorerst etwas über Ihren beruflichen Werdegang erzählen?
Vor meiner therapeutischen Tätigkeit habe ich einiges ausprobiert. Unter anderem war ich in London auf der Kochschule und habe als Personal Chef in Irland gearbeitet. Weil mich Psychologie schon immer fasziniert hat, besuchte ich parallel einen Vorbereitungskurs für den Heilpraktiker der Psychotherapie. Seit der ersten Stunde habe ich gewusst, etwas gefunden zu haben, das mir nicht nur Spaß macht, sondern für das ich richtig brenne. Von da an gab es kein Halten mehr: analysieren, reden, hypnotisieren, klopfen … Alles wollte ich lernen. Und das habe ich auch gemacht. Seit mehr als 20 Jahren beschäftige ich mich mit dem Thema Intuitive Ernährung und bin seit 2017 als Coach und Therapeutin nach dem Heilpraktikergesetz in eigener Praxis tätig.
Was hat sie dazu bewegt, Ernährungstherapeutin für intuitive Ernährung zu werden?
Das Thema Ernährung, Diäten und der Wunsch, dünner zu sein, begleitet mich seit meiner Kindheit. Viele werden das kennen. Auch ich habe sehr lange mit meinem Körper gekämpft und schon viele Diäten hinter mir. Das Thema Essstörungen ist mir nicht fremd, sie waren in meiner Familie früher leider auch eine alltägliche Begleitung. Daher bin ich für das Thema sensibilisiert und wollte mich von Anfang an auf Ernährung und Essverhalten spezialisieren.
Was unterscheidet Ihre Beratung von der klassischen Ernährungsberatung?
Zu mir kommen Menschen, die mit der klassischen Ernährungsberatung nicht weiterkommen. Sie haben oftmals schon viel probiert und sind den Teufelskreis aus Diäten, Frust und Enttäuschung leid und suchen nach anderen Wegen. Das sind Menschen jeglichen Gewichts, denn die Unzufriedenheit ist dieselbe, egal ob sie gefühlte drei oder 30 kg zu viel haben.
Bei der klassischen Ernährungsberatung geht es meist nicht um die psychischen Aspekte unseres Essverhaltens, sondern ums ‚Handwerk‘. Also was ist gesund, was ist ungesund, wie koche ich was, wie viel darf ich von etwas essen, was hat wie viel Kalorien etc.. Oftmals eine eher verkopfte Sache, geprägt von Verboten und Verzicht. Das gibts bei mir nicht! Intuitive Ernährung bedeutet zu erlernen, dass du allein entscheiden kannst, was, wann und wie viel du isst.
Wenn jemand allerdings aus gesundheitlichen Gründen eine spezielle Diät machen muss, zum Beispiel bei Allergien oder Krankheit, dann ist er/sie bei einer klassischen Ernährungsberatung oder einer Diätassistent*in richtig.
Was können wir unter dem Gleichgewicht-Konzept verstehen?
Mein Gleichgewicht Konzept ist ein Zusammenspiel von intuitiver Ernährung und mehreren Methoden der Psychologie. Die intuitive Ernährung per se ist nicht schwer … auf dem Papier. Die Umsetzung erfordert oftmals individuelle Betrachtungen und Ansätze, vor allem, wenn man schon lange mit dem Thema kämpft. Methoden aus der Psychologie wie z. B. ACT oder die Klopftechnik PEP helfen meinen Klient*innen dabei, ihre individuellen Ziele zu erreichen. Die intuitive Ernährung als Basis ist für mich die einzige Ernährungsform, die mehr Lebensqualität bringt und tatsächlich richtig Spaß macht. Und vor allem kann man so den Rest seines Lebens essen, denn es fehlt einem ja an nichts! Diäten dagegen sind immer nur kurzfristige Lösungen, keiner hält das ewig durch.
Können Sie uns genaueres zu der Akzeptanz- und Commitment- Therapie erläutern?
Die Akzeptanz- und Commitment- Therapie (kurz ACT) ist eine Verhaltenstherapie. Sie kann uns dabei unterstützen, unser Verhalten zu ändern. Das Ziel von ACT ist es, uns zu helfen, ein erfülltes und sinnvolles Leben zu führen und gleichzeitig auch das Leid, das uns das Leben unweigerlich bringt, zu akzeptieren.
Ein kurzes Beispiel: Ich sitze nach dem Abendessen gemütlich vor dem Fernseher und denke plötzlich daran, was ich jetzt noch essen könnte. Das Verlangen nach Essen kann tatsächlich ein ziemlich unangenehmes Gefühl sein, das schwer auszuhalten ist. Unangenehme Gefühle will keiner von uns haben. So stehe ich ziemlich schnell vom Sofa auf und hole mir einen leckeren Snack. So weit, so gut. Problematisch wird es, sobald das schlechte Gewissen sich meldet und ich mich für meine Schwäche verachte. Wenn das nur einmal passiert, okay, wenn das fast immer so abläuft, dann wird es belastend und hat Auswirkungen auf unser ganzes Leben.
Die Folgen meines Handelns sind in diesem Fall weitaus schwerwiegender als das auslösende, unangenehme Gefühl des unbefriedigten Verlangens. Wenn man dieses Szenario nach dem ACT-Ansatz betrachtet, dann geht es darum zu erlernen, dieses unangenehme Gefühl wahrzunehmen, zu akzeptieren und es bewusst auszuhalten, ohne es mit etwas anderem kompensieren zu müssen. Das ist schwierig, wird aber mit entsprechender Übung immer leichter. Und man wird belohnt mit dem Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmtheit, welches meiner Meinung nach unbezahlbar ist.
Mit Hypnose abnehmen - wie funktioniert das?
Mithilfe von Hypnose komme ich oftmals schneller an tiefliegende, hartnäckige, negative Gefühle meiner Klient*innen. Entgegen manchem Vorurteil ist man bei der therapeutischen Hypnose aktiv dabei und kann sich später an alles erinnern. Wir arbeiten in der Hypnose gemeinsam mit den o. g. Gefühlen und versuchen sie zu lösen, wir bauen im Prinzip emotionalen Druck ab. Dadurch wiederum werden Veränderungen oftmals leichter.
Hypnose ist dabei kein Wundermittel, wie es so oft angepriesen wird, denn unser Essverhalten ist sehr komplex. Trotzdem kann sie sehr hilfreich sein, wenn wir das Gefühl haben, dass uns irgendwas im Wege steht. Voraussetzung ist allerdings eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Thema Essverhalten und die Arbeit an den individuellen Wünschen nach Veränderung. Dann kann Hypnose ein tolles und unterstützendes Hilfsmittel sein, eine alleinige Therapieform bei diesem Thema ist es allerdings für mich nicht.
Wie entwickelt sich, Ihrer Meinung nach, die Wahrnehmung der Ernährungstherapie in Deutschland?
Leider nicht gut. Man liest zwar immer öfter ‚Diäten funktionieren nicht‘, aber daraufhin werden dann Produkte empfohlen, die am Ende nichts anderes als Diäten sind. Selbstoptimierung ist ein großer Wirtschaftszweig und jeder von uns hat schon Geld für verheißungsvolle Mittelchen ausgegeben.
Die Tendenz weg von unrealistischen Körperbildern, hin zu Akzeptanz und Respekt für jeden Körper, ist noch viel zu zaghaft und benötigt weit mehr Sichtbarkeit in allen Bereichen. Body Positivity und Bewegungen wie z. B. HAES sind in Deutschland noch nicht so weit verbreitet wie in den USA. Es würde mich freuen, wenn mehr Menschen offen über ihre Erfahrungen mit Ernährungstherapie oder Ernährungsberatung berichten und so andere inspirieren ebenfalls offen damit umzugehen.
Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf am besten?
Es macht mich glücklich, wenn ich gemeinsam mit meinen Klient*innen Probleme und Herausforderungen löse und somit jemandem helfen kann.
Wie stehen Sie zu Diäten (Ketogene Diät, Paleo etc.)? Gibt es eine Diät, die sich mit Ihrem Ernährungskonzept arrangieren lässt?
Nein, die gibt es nicht. Alles, was mit Verboten zu tun hat, ist nicht mit der intuitiven Ernährung vereinbar.
Wie stehen Sie zu Nahrungsergänzungsmitteln und anderen “Helfern” (Ätherische Öle, Blütenwasser, Massagezubehör)? Lassen sich diese mit einer gesunden Ernährung vereinbaren und können Sie vielleicht sogar bei ihrer Therapie ergänzend verwendet werden?
Grundsätzlich werden bei mir keine speziellen Nahrungsergänzungsmittel empfohlen. Ich bin aber ein Fan davon, sich um seinen Körper zu kümmern und sich die Zeit zu nehmen, ihn zu pflegen. Dies unterstützt das Selbstbild und die eigene Körperwahrnehmung positiv. Dafür eignen sich auch wohltuende Körper-Massagen mit gut duftenden Ölen. Diese kann ich also allemal empfehlen.
Was wären Ihre Top-3-Tipps, um das Essverhalten der Menschen im Allgemeinen zu verbessern?
Ganz klar - Lernen Sie bewusst zu essen. Das bedeutet:
Nehmen Sie sich Zeit für das Essen, lassen Sie sich nicht ablenken
Schauen Sie sich ganz bewusst an, was Sie da überhaupt essen
Genießen Sie ihr Essen, ohne schlechtes Gewissen